ECOUTE III für Flöte, Klarinette, Fagott, Trompete, Posaune, Klavier, Schlagzeug, Violine, Viola, Violoncello und Kontrabass (1997)
denkend an DIE NACHT (1918/19) von Max Beckmann

Ecoute III (Flöte, Klarinette, Fagott, Trompete, Posaune, Schlagzeug, Klavier, Violine, Viola, Violoncello, Kontrabass) schließlich konstruiert ein Gegenbild zu dem in Ecoute I entworfenen: in frei assoziierender Form macht es Max Beckmann´s Bild DIE NACHT (1918/19) zum inhaltlichen Mittelpunkt. Dieses Werk entstand am Ende eines Krieges, der den eigentlichen Übergang ins 20. Jahrhundert markiert. Das Bild Die Nacht wirft daher nicht nur ein grelles Licht auf die deutsche Nachkriegs-Gegenwart, sondern es verdeutlicht roh und zynisch auch das Ende einer deutschen Befindlichkeit, die im (antipolitischen) Biedermeier des frühen 19. Jahrhunderts ihren Anfang nahm: es zeigt eine Gegen-Serenade, eine Anti-Idylle.

Im Werk Richard Wagners spielt das Nächtliche (mit all seinen todessehnsüchtigen Implikationen) eine entscheidende Rolle. Seine Oper Tristan und Isolde kann als das musikalische Nachtwerk des 19. Jahrhunderts betrachtet werden. Die in ihr verherrlichte Verneinung des Tages als Metapher für vernunftbestimmtes Tun und die daraus resultierende Irrationalisierung des Denkens, ist - und dies ist mit aller Vorsicht gesagt - vielleicht schon ein Indiz für die unglaublich erscheinende Begeisterung mit der im August 1914 junge Deutsche in den Krieg marschierten.
Ist die genannte Wagner-Oper bereits Nachtwerk an sich, so ist der in ihr enthaltene, vielfach analysierte, musiktheoretisch reflektierte und weltberühmte Tristan-Akkord das musikalische Super-Zeichen des Nächtlichen schlechthin. Funktional nicht eindeutig bestimmbar, Auflösung in die nächste Dissonanz - d.h. eigentlich nicht auflösbar - ist er Metapher für die Unstillbarkeit romantischer Sehnsucht. Seine Unauflösbarkeit steht für Unerlösbarkeit und der daraus resultierenden Todessehnsucht. Kein Klang in der Musikgeschichte hat eine solche Lawine an Betrachtungen, Erörterungen und (meist) widersprüchlichen Beurteilungen hervorgerufen wie der Tristan-Akkord. Unabhängig aber von wissenschaftlichen Betrachtungen entsteht beim Hören Wagner´scher Musik (und des einen speziellen Klanges im Tristan) das Gefühl es handle sich um ein Narkotikum, das euphorische Rauschwirkungen erzeugt, aber auch das Nervensystem angreift. Der Entschluß den Tristan-Akkord im Schlußsatz von Ecoute III zu verwenden fiel mir verständlicherweise nicht leicht. Andererseits reizte mich aber (wie das Spiel mit dem Feuer) der Versuch diesen einen Klang zu isolieren und in einen vollkommen anderen kompositorischen Zusammenhang zu stellen.
Ausschnitt aus: Ecoute III, Satz II
Ecoute III ist zweisätzig: 1. Presto, 2. Adagio. Obwohl diese sich gestisch als vollkommene Gegen-Sätze gegenüberstehen, sind sie unterirdisch miteinander verbunden. Ihnen gemein ist nicht nur die kompositorische Strenge mit der alle musikalischen Parameter gearbeitet sind, sondern vor allem eine innere Haltung: es ist dies die ferne, fast kalte Sicht des späten auf die Katastrophe des frühen 20. Jahrhunderts, wobei nicht die brutale Dynamik des Krieges im Vordergrund steht, sondern deren Folgen: - Wut ? - Trauer ?

Beckmann´s Die Nacht schockt. Die Haltung des Malers zum gemalten Gegenstand zeigt kein Mitleid, keine Trauer, aber auch keine Wut über die Ungeheuerlichkeit der abgebildeten Vorgänge. Das geschäftsmäßig betriebene, kalte Morden, daß Beckmann malt ist (für mich) nicht nur Ausdruck traumatisierender persönlicher Kriegserlebnisse, sondern gleichzeitig seine vollkommen desillusionierte Erkenntnis in die Unveränderbarkeit struktureller Gewalt. Mein (musikalischer) Blick auf Beckmann´s Bild wird von Beckmann´s Blick auf sein Sujet bestimmt: wehrloses Ausgesetztsein in eine nicht durchschaubare agressive DUNKLE Welt.

Die beiden Sätze in Ecoute III reagieren darauf unterschiedlich;
also: Hören Sie hin! E C O U T E !!!!!

ECOUTE III wurde anläßlich der MAX-BECKMANN-AUSSTELLUNG "Die Nacht" in der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf komponiert und dort am 30. November 1997 durch das Ensemble ECOUTE uraufgeführt.

ECOUTE III ist Dirk Reith zu seinem 50. Geburtstag in Freundschaft gewidmet.