Das Hörspiel als nicht erzählende Radiokunst

 

Vortrag zur Vorstellung des gleichnamigen Buches
09 11 1992, Folkwang Hochschule, Essen


Viele Studenten beschweren sich über die allzustarke Verschulung des Studienablaufes und der damit verbundenen Gängelung und Einschränkung individueller Findung eigener Ausdrucksmöglichkeiten. In diesem Zusammenhang ist das vorliegende Projekt, daß in diesem Buch dokumentiert wird eine rühmliche Ausnahme und verdeutlicht, in wie weit sich die Folkwang Hochschule in solchen Bemühungen von anderen Hochschulen unterscheidet. Trotzdem muß festgestellt werden, daß die doch sehr geringe Beteiligung an dem Projekt Aufschluß darüber gibt, inwieweit noch ein Widerspruch besteht zwischen Forderung nach und Übernahme von Eigenverantwortung, der eine gewisse selbstzufriedene Behäbigkeit der Studenten durchblicken läßt, die Forderungen nach Freiheiten pro forma artikulieren, um einer selbst projizierten Rolle einer unabhängigen Künstlerpersönlichkeit gerecht zu werden. Projekte, wie diese zeichnen sich dadurch aus, daß sie innerhalb des Studiums sowohl Geld- als auch Zeitmittel zur Verfügung stellen, um außerhalb einer studienrelevanten Bewertung Freiräume zu bieten, um neue Ausdrucksmöglichkeiten einem neutralen Test zu unterziehen. Hierbei ist unbedingt die Möglichkeit enthalten, aus eventuellen Negativerfahrungen positive Konsequenzen zu ziehen. Dieses setzt natürlich eine kritische Offenheit der Beteiligten voraus, um nicht wiederholt in den Trott zu verfallen, vorgegebene Hüllen nur adäquat zu füllen, sondern eigene Formen zu suchen und diese mit und auch gegen die Gruppe bis zur Aufführung zu manifestieren. Es zeigte sich auch, daß das Gros der Studentenschaft auch während des Aufführungstages nicht in der Lage war, ihre ausgetretenen Pfades innerhalb der Hochschule zu verlassen. Trotzdem das Projekt an einer Vielzahl von Aufführungsorten präsent war, ist es doch vielen potentiellen Besuchern gelungen, mit einer gewissen, ängstlichen Ignoranz gegenüber Ungewohntem, diese Stätten zu umgehen. Die vorliegende Dokumentation ist nicht nur eine interessante Materialsammlung, sondern auch die Verdeutlichung, daß in einem Projekt wie diesem auch scheinbar unvereinbare Positionen nebeneinander bestehen können. So reichen die Beiträge von der kritischen Selbsteinschätzung bis zur literarischen Aufzeichnung und Weiterführung des Projekts (wie wir gleich in den Ausführungen von Ralf Ollertz noch sehen können) Für jeden Studenten ist es sicherlich sehr förderlich noch während der Ausbildung einer drohenden Fachidiotie auch mittels solcher Projekte vorzubeugen, aus deren Erfahrung Eigeninitiative entsteht, die über das Studium hinaus Wirkung zeigen kann. Die Sinnfälligkeit für ein soches Projekt, vielschichtig interpretierbare Genres wie z.B Hörspiel ( oder wie in der neuen Besetzung des Autorenlehrstuhls Kleinkunst,Lied ) zu nehmen ist offensichtlich. Zum einen erweitert es den Bereich der möglichen Mitwirkenden, zum anderen läßt es den Mitwirkenden die Freiheit, im Sinne momentaner Bedürftigkeiten an Ausdruck, eine eigenständige Sichtweise auf die bestehende Thematik abzubilden. Das Hörspiel entwickelte sich gleichzeitig mit dem Medium Radio. Angefangen in der dezidierten Trennung von Sprache und Musik entwickelte es sich zunehmend als ein Pool aller im Radio transportierten Infomationen. Dieses ist einer der Gründe der Offenheit der Gattung Hörspiel gegenüber verschiedensten Kunstformen. Verschiedenste Musikstile, unterschiedlichste Literaturformen, Konkretes, dokumentarisches und produziertes Material fanden Eingang in dieses Medium. Dieses führte natürlich dazu, daß eine allgemeingültige Terminologie bis heute nicht gefunden werden konnte. Stattdessen ergehen sich die Macher in der Schöpfung von Wortungetümen.Diese reichen von der Forderung Friedrich Knillis nach dem "totalen Schallspiel",über Heißenbüttels Begriff der "offenen Sendeform" und Ulrich Gerhardts "Audio Art" bis zur "Akustischen Kunst" des WDR. Quantitativ überwiegt im Sendeanteil jedoch immer noch das gute alte "Handlungshörspiel" bzw. "Worthörspiel". Das hier besprochene Projekt, also das interaktive Hörspiel, versucht seinerseits den Produktionsprozeß zum materialgenerierenden Moment in der Entstehung des Hörspiels zu machen und diesen im Sinne einer Bereicherung des Genres durch den Erlebnischarakter live und öffentlich zu machen. Der größtmögliche Freiraum der Materialbehandlung entsteht, indem den Zuschauern/-hörern die Möglichkeit des interaktiven Eingriffs in diesen Prozeß ermöglicht wird. Dieses begündet auch die lange zeitliche Ausdehnung eines solchen liveHörspiels, da diese Art des wertfreien Sammelns gewisse Zeiten braucht um genügend Material zu bekommen, daß nach einer kompositorischen Selektion genügend Stoff für eine Postproduktion bietet.