traktus | insprinc

8 Stimmen, Live-Elektronik

Im Jahre 1841 entdeckte der Historiker Dr. Waitz in der Bibliothek des Merseburger Domkapitels in einer theologischen Sammelschrift des 9./10. Jahrhunderts zwei uralte germanische Zauberformeln. Die Merseburger Zaubersprüche entstanden bereits in der heidnischen Zeit vor 750 und wurden im 10. Jh. wahrscheinlich im Kloster Fulda aufgezeichnet. Sie sind damit das älteste erhaltene Zeugnis deutscher Sprache heidnischen Inhalts. Der erste Spruch beinhaltet die Befreiung von Gefangenen und der zweite die Heilung eines Pferdes durch germanische Götter.

[ Merseburger Zaubersprüche (Faksimile), 187 kb ]

In Analogie zu diesem Fundort verwendet die Komposition Teile des liturgischen Traktus, an das der erste der Zaubersprüche textlich angekoppelt wurde. Durch die Live-Elektronik wirkt dieser als Hinter- bzw. Untergrund, aus dem er sich an einigen Stellen reliefartig abhebt.

Traktus

Absolve ... animas....                          Befreie die Seelen.
Ab omni vinculo....                             Von jeder Fessel....

Et lucis aeternae beatitudine perfrui.          Und lass sie genießen die Glücksseligkeit des ewigen Lichts.


Sicut servus desiderat ad fontes aquarum        Wie der Hirsch verlangt nach der Quelle
Ita desiderat anima mea ad te....               So verlangt meine Seele nach Dir...

Fuerunt mihi lacrimae meae panes                Mir sind meine Tränen zur Speise geworden         
die ac nocte                                    bei Tag und bei Nacht.

Dum dicitur mihi per singulos dies:             Und alle Tage sagt man mir doch:
Ubi est Deus tuus?                              Wo ist dein Gott?

insprinc eiris sazun idisi Einst setzten sich Idissen, sazun hera duoder setzten sich hierher. suma hapt heptidun Manche hefteten Haft, suma heri lezidun manche hemmten das Meer. suma clubodun umbi cuoniouuidi Einige zerrten an den Fesseln. insprinc haptbandun Entspring den Haftbanden, invar vigandun entfahr den Feinden

Absolve ...     a  n imas....
      |         |  | |
     Befreie       (die Seelen.)
         |      |  | |   |
         eiris sazun i   |          disi
               sazun    hera duo    der
                           |   |     |
                           Ab  omni vinculo....

Et lucis aeternae beatitudine perfrui.
    |     |        |   |   |    
   suma  hapt      |   |   |
     |    |       hepti|   |
     |    ewigen       du  n
   suma  heri  le    zidu  n

Sicut servus desiderat ad fon tes aquarum
      Seelen Seelen    Seelen |        |
                I    t a    | |        |         
                     | ad   | te...    | 
             desiderat a    ni ma mea  |
                                      suma clubodun
                                       umbi cuoniouuidi
                                            Fuerunt mihi lacrimae     meae panes 
                                                            die ac nocte|    |
                                                                      Trae   nen

Dum dicitur mihi per singulos dies:
                      |        |
                      insprinc haptbandun
                               invar vigandun
                                           Ubi est Deus tuus?
                                                   dein
Zur Komposition des Traktus wird ein sogenanntes Terzenfeld verwendet, das alle Verhältnisse enthält, die aus den Zahlen 4, 5, 6, und 7 gebildet werden können. Der Intervallabstand zwischen zwei benachbarten Tonorten ist immer eine große bzw. kleine Terz. Diese Terzen sind im á capella Gesang als natürliche Terzen zu verstehen. In der Komposition dieses Terzenfelds werden alle möglichen Intervalle einbezogen. Zum Beispiel ist der Tonabstand von 6/4 zu 5/5 eine Quint, der Abstand 6/4 zu 4/5 eine None.
Rhythmik und Dynamik können, je nach Lesart um die horizontale Achse des Grundtons gespiegelt werden, wobei die Rhythmen sowohl als Töne ´wie auch als Pausen interpretiert werden.





Für den Zauberspruch hingegen wird eine Reihe verwendet die im weitesten Sinne dodekaphonischer Grundprinzipien entspricht. Das Tonmaterial besteht aus zwei kurzen Reihen aus 5 Tönen (1. G und 2. G) nebst ihren Krebsgestalten (1. K und 2. K) einer transponierten Umkehrung (1. U und 2. U) und Krebsumkehrung (1. KU und 2. KU). Aus allen Fünftongruppen lassen sich alls Intervalle innerhalb einer Oktave bilden.





Beide Tonsysteme überschneiden sich in einer begrenzten Anzahl von Tönen, die in der Komposition an den textlichen Übergängen (s.o.) zum Tragen kommen.





Zur Komposition des Zauberspruchs werden immer 2 Töne entsprechend ihres Intervallabstands innerhalb einer Hülldauer von 8 Vierteln rhythmisiert. Diese Dauer entspricht bei einem Metrum MM=33 einer Dauer von ca. 14,5 sec und wird immer auf einer Atemlänge gesungen.

[ Insprinc Rhythmen, 18 kb ]