Die Wirklichkeit als Abbild

 

24 03 1998, Symposium "Über die Installation musikalischer Ideen", Institut für Neue Medien (INM), Frankfurt
01 02 1999, Cooperativa Neue Musik (CNM), Bielefeld
11 06 1999, Roaring Hoofs Festifal, University of Ulanbator, Mongolei


Der Komponist von heute sieht sich einer Zuhörerschaft gegenüber, deren Rezeption durch Massenmedien primär visuell geprägt ist und deren Imaginationsvermögen begrenzt wird durch die ständige Insistenz von Realitäten. Diese Überrealität als reproduzierbarer Abbildung war für mich Anlaß, mich zunächst mit der Thematik des Bildlichen in der Musik zu befassen, mit der Motivation, neue Erkenntnisse darüber zu gewinnen, inwieweit visuelle Eindrücke in der Lage sind, einen kompositorischen Prozeß im Sinne eines Materialgedankens zu bestimmen und gleichzeitig inwieweit dieser kompositorische Prozeß Bildlichkeiten generieren kann, die mit den bildnerischen nicht vergleichbar sind.
Seit der Erweiterung der Musik um die elektronische Komponente von Reproduktion und Manipulation steht dem Komponisten schon innerhalb der eigenen Disziplin bestimmte Formen interaktiven Arbeitens zur Verfügung. Ähnlich der bildenden Künste zeigt sich in der Einheit von Komponist, Interpret und Hörer die hohe reflexive Eigenschaft des elektronischen Mediums als deutliche Entwicklung in der individuellen Erforschung des Klangs und vieler psychoakustischer Phänomene wie Raumwahrnehmung, Verdeckungen usw.. Die Realisation eines Werkes entsteht als rekursiver Prozeß zwischen dem Hören des bereits Entstandenen und den daran sich verändernden Ideen und deren Umsetzungen. Das Stück wird somit zum Resultat seiner eigenen Interpretation.
Sowohl Inhalte als auch Produktionsweisen im Austausch zwischen instrumentaler und elektronischer Musik führen zu einer Bereicherung in den Möglichkeiten kompositorischen Denkens. Diese Art des gegnseitigen Abbildens in seiner etymologischen Bedeutung von Wiedergabe und Nachbildung und der damit verbundenen Veränderung der enthaltenden Information, versuche ich anhand einiger Arbeiten zu erläutern.

Anfangen möchte ich mit dem Stück artificial clichés für vierkanaliges Tonband, welches ausschließlich mit einem Hofschneider Analog Synthesizer von 1970 und verschiedenen Tonbandtechniken am ICEM der Folkwang Hochschule, Essen realisiert wurde. Mit diesem inzwischen musealen Instrumentarium wurden Klänge erzeugt, die in zwei Klangklassen grob zu unterteilen sind. Da sind zunächst Nachbildungen von konkreten Klängen wie Wind, Feuer, Wellen, Vögelzwitschern, Blechdosen etc.. Diese Klänge sind nicht das Ergebnis einer Resynthese eines vorher analysierten Konkretklangs, sondern vielmehr die Ausformulierung gefundener klanglicher Signifikanzen innerhalb einer Improvisation mit verschiedenen analogen Standardschaltungen. In der Arbeit mit konkretem Material kommt gerade dem Aspekt der Erkennbarkeit besondere Bedeutung zu, den solche Klänge sind unabhängig ihres modifizierten Kontextes und auch in modifizierten Klangformen deutlich als Material oder Entfernung zum Material wahrzunehmen. Dennis Smalley verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff der "transkontextuality". Dieser beschreibt die Interpretation einer jeden Klangs besonders aber der aufgenommenen und konkreten als abhängig von seinem natürlichen und kulturellen, sowie seinem, durch den Komponisten formulierten musikalischen Kontext. Sind konkrete Klänge im Primärkontext dem natürlichen zuzuordnen, so ist die zweite, in diesem Stück verwendete Klangklasse stärker dem kulturellen zugeordnet. Sie besteht aus Klängen von Schaltungen, wie sie in ganzen Generationen kommerzieller Synthesizern eingebaut waren. Die Abnutzung dieser Klänge begründet sich in der immensen Reproduktion durch den ökonomisch orientierten Musikbetrieb. Ihre zunehmende Klischeehaftigkeit bestimmt den Grad ihrer Signifikanz. Dem Stück liegt die Idee zugrunde, eine Art künstlicher Natürlichkeit als komponiertes Enviroment so in der Zeit zu positionieren, daß analog zu den frühen 3D-Animationen realer Räumlichkeiten wesentliche Elemente klanglich manifestiert sind, Details jedoch ausgespart bleiben.



Hören sie einen Ausschnitt aus diesem Stück als Stereoreduktion:

[ Klangbeispiel 01: artificial clichés ]

Das zweite Stück, cinema color für vier Schlagzeuger und Tonband ist der Versuch, Aspekte des Films für eine musikalische Komposition, eine externe Technik als Möglichkeit einer äußeren Einwirkung auf ein Instrumentarium anzuwenden. Eine Abfolge abstrakter und deskriptiver Begriffe diente als Grundlage zur Übersetzung in kompositorische Ideen und als Träger einer assoziierten Handlung zwischen inhaltlichen und technischen Zuständen.

[ Cinema Color, Farbverlauf, 28 kb ]

Die dem Stück zugrunde liegende Idee betrifft den Begriff der Kolorierung, die sich in der Notation in der Unterscheidung zwischen Ton- und Geräuschfarbe niederschlägt. Aus einer einfachen melodischen Zelle mit zunehmender Intervallgröße werden Verläufe entwickelt, die durch das ganze Stück hindurchgehend, verschiedene Zustände der Farblichkeit beschreiben. Es entsteht ein unterschiedlich dichtes Farbband, das, bezugnehmend auf die verschiedenen Materialeinwirkungen und die Bedeutungsfelder außerkünstlerisch geprägter Instrumentarien die gesamte musikalische Struktur einfärbt. Die Metaphorik einzelner Instrumente und deren Verwendung als gezielte Klangassoziation wird bewußt verwendet, um die entstehenden Bildlichkeiten voneinander abzugrenzen und ihre Erkennbarkeit zu unterstützen. Die verhallten Klänge einer Mundharmonika vom Tonband werden dem Schlagzeugklang zusätzlich an einigen Stellen als Spektrum hinzugemischt und tauchen die bestehenden Klanglichkeiten in eine übergeordnete Farblichkeit. Diese konzeptionelle Verzahnung durch die Farben im Verständnis eines kontinuierlichen Parameters verbindet die beiden Medien im Sinne eines klanglichen Gesamteindrucks.
In der Aufnahme die sie gleich hören, habe ich die Reproduktionsfähigkeit des Computers genutzt, um die entstandene, aufgeführt und aufgenommene Komposition wieder als Sample einzulesen und somit zum Material einer weiteren Bearbeitung zu machen. Die elektronische Bearbeitung ist nun wieder transkribierbar und als Partitur einer weiteren instrumentalen Realisation verwendbar. Diese Ergebnisrekursion ist in der Wiederholung wie ein Zoom, als ein tieferes Eindringen in die Materialität des eigenen Werkes und zugleich eine weitere Technik der Bildverarbeitung im Film.
Hören Sie wiederum einen Ausschnitt aus einer elektronischen Realisation dieses Stückes, in der ich versucht habe primär den Farbklang d.h. Klänge mit definierter Tonhöhe weiter zu verarbeiten.

[ Klangbeispiel 02: Elektronische Lesung II ]

Das nun folgende Stück virtual string für Stereotonband berührt eine ganz andere Form des Abbilds als Nachbildung der Realität mit Hilfe des Computers. Es entstand an einer Silicon Graphics Workstation mit der kleinen Echtzeitapplikation vstring, die der damalige Student der TU Berlin Michael Kurz programmierte, um die Thesen seiner Dissertation zu verifizieren.




Dieses Programm, dessen Graphical User Interface Sie hier sehen, versucht die physikalischen Zustände einer schwingenden Saite, als mathematisches Modell so zu formulieren, daß jedes klangbestimmende Detail, von der Länge und der Spannung der Saite, über deren Erregung durch einen Bogen oder ein Plektron, bis hin zu dem Ort der Tonabnahme als Teil einer Gesamtgleichung beschrieben wird. Im Gegensatz zu herkömmlichen Syntheseformen bietet sich dem Komponisten die Möglichkeit der Veränderung physikalischer Parameter wie Geometrie von Körpern, Masse, Kräften und Gesten, er verändert also die Gestalt der Objekte selbst. Die Neuerung die Klangkomposition durch physikalische Modelle ist naheliegend: Hinausgehend über die Möglichkeiten der Samplebearbeitung, in der jediglich konkrete, akustische Objekte additiv oder subtraktiv modifiziert werden, schafft der Computer hier seine eigene akustische Realität aus den Analogien zu der bereits bestehenden und kreirt in der Folge klangliche Manifestationen einer als Modell bestehenden virtuellen Körperlichkeit: Vorstellungen von Saiten, die sich beim Spielen um viele Meter verlängern oder Bögen, die zu kiloschweren Hämmern mutieren sind leicht vorstellbar, im instrumentalen Bereich aus naheliegenden Gründen leider nicht realisierbar.
Hören Sie einen Ausschnit aus dem Stück "virtual string" für Stereotonband:

[ Klangbeispiel 03: virtual string ]

Das vierte und letzte Stück, das ich ich Ihnen vorstellen möchte, versucht einen Klang als akustisches Bild nur über die Darstellung verschiedener Perspektiven seiner Betrachtung, als Bewegung um ein musikalisches Objekt zu beschreiben. Dem Maß der Mitte liegt eine Idee zugrunde, die davon ausgeht, eine von Anfang eines Stückes an bestehende Begrenzung der Tonhöhen durch Dynamik, Geschwindigkeit und Tempo auszugleichen. Die darin liegenden Möglich- und Unmöglichkeiten bestimmen Virtuosität und Kürze des Stücks, die damit versuchen Formen der Reduktion von Informationen zu kommentieren, die durch die Entwicklung elektronischer Medien auch auf künstlerische Prozesse übergreift. Das Stück geht von dem Verständnis seiner Inhalte als musikalischen Objekten aus. Im Gegensatz zu Zitaten definiere ich hier Objekte als neutrale Elemente kontextloser, musikalisch primärer Natur. Es besteht nur aus einem solchen Objekt, einem diatonischen Akkord aus sieben Tonhöhen. Die Graphik verdeutlich seinen Verlauf:




Ein diatonisch, fast statisches Klangband aus gestrichenen Klaviersaiten besteht so lang wie einzelne Elemente zur Weiterverarbeitung aus ihm herausgelöst werden. Nach kürzester Zeit, in der die Tonhöhen durch Temposteigerung, extreme Lagen und Geschwindigkeiten quasi ausgeglüht werden, wird ein neues Klangband aus Mundharmonikaklängen hinzugenommen, die den bestehenden Tonhöhenvorrat chromatisch auffüllen. Nach einer weiteren Steigerung von Tempo, Dynamik und Umfang fällt das Stück auf seinen Anfangszustand zurück und versiegt, trotz Hinzunahme eines insistierenden Verharrens auf einem Akkord nach 2'30".
Sie hören eine Aufnahme, mit dem Ensemble GO AHEAD Düsseldorf.

[ Klangbeispiel 04: Das Maß der Mitte ]

Seit mit dem Computer allen Kunstformen ein preiswertes Werkzeug zur schnellen Aufbereitung von Bild und Klang zur Verfügung steht, wird durch die zunehmende Digitalisierung jedwede künstlerische Information zunächst zu einer neutralen Stuktur binärer Daten. Erst ihre Interpretation bestimmt ihre Aussage. Ob ich Audiodaten per Sonographie visualisiere oder anders herum Bilder im Sinne der Sonifizierung als Klang interpretiere, durch diese Zweideutigkeiten kommt es zu interessanten Annäherungen und Überschneidungen der Kunstformen an sich, die als Konsequenz eine gleichgewichtige Zusammenarbeit sowohl wünschenswert als auch notwendig erscheinen läßt. Das Wissen um die medialen Möglichkeiten der eigenen Disziplin erscheint mir jedoch als eine der notwendigen Voraussetzungen, um integrativ mit anderen Medien kooperieren zu können. Sie bildet die Basis einer Zusammenarbeit im Sinne eines ästhetischen Reichtums, einer ästhetischen Idee des Multimedialen. Der Einsatz moderner Technologien dient hierbei zur Erweiterung der Bedeutungs- und Ausdrucksreservoirs. Durch eine stärkere Betonung ihrer inhaltlichen Verwendung könnte vermieden werden, daß sie aufgrund von Sachzwängen und technischer Problembewältigung selbst Thema wird. Sehen Sie eine Abbildung, die versucht, alle bisher genannten Sachverhalte in Form einer zusammenfassenden Graphik darzustellen:



Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.